Die Kraft der Berge
Eine schamanische Erfahrung
von Barlok
Barfuss auf dem Hochgebirgspfad, die Augen verbunden, setze ich Fuss vor Fuss, links von mir der Abgrund. Wenn Gelassenheit die Furcht besiegt, sehe ich vor mir mein Krafttier mir sicheren Weg weisend. Hinter mir weiss ich jenen Menschen, der darüber wacht, dass ich dem Abgrund fernbleibe - hier entscheidet sich, wieweit ich bereit bin mein Leben meiner Intuition und meinem Mitmenschen anzuvertrauen.
Im schweizerischen Bergdorf Preda haben sich 15 Leute aus Deutschland, der Schweiz und Oesterreich eingefunden, um auf schamanische Weise eine Woche lang die Kraft der Berge zu erforschen.
Nicht alpine Höchstleistungen waren das Ziel, sondern vielmehr das Aufspüren und Ueberschreiten körperlicher und geistiger Grenzen.
Der Bergpfad windet sich empor durch Bäume an der Waldgrenze, über Alpwiesen voller duftender Kräuter, zwischen Felsblöcken, durch Bäche und über Schneefelder immer höher und höher. Der Pfad führt uns aus dem Dunst des Alltags empor in die Klarheit des freien Raums, in die Sphäre des Adlers.
Schritt für Schritt über Kies und Stein, gehen wir in einer Kolonne emporgerichteter Kraft. Wir durchqueren den Gebirgsbach, der wie alle Fliessgewässer gemäss den Lehren unserer Ahnen zwei Welten trennt. Wir grüssen den Bach, schenken ihm hin, was wir nicht mehr benötigen und betreten gereinigt und erfrischt das andere Ufer, eine andere Welt.
Dieses gleichmässige Emporsteigen - eine Meditation im Gehen - lässt das Gedankengeschrei zur Ruhe kommen, öffnet verschüttete Sinne neu.
Auf dem Pass, einem Uebergang von einem Tal ins andere - und wieder von einer Welt in die andere, machen wir einen Kreis, grüssen die Geister des Ortes und lassen los, was uns auf unserem weiteren Weg behindert. Manche Träne und mancher Schmerz werden abgelöst von erlösendem Aufatmen, von Lachen und Freude. Neugewonnene Freiheit und Kraft lässt körperliche Grenzen sprengen, wie es nur durch geistige Hilfe möglich ist.
Vielerart Herausforderungen begegnen uns - auch das Neinsagen, der Verzicht - und lassen uns wachsen.
Verschiedene Methoden aus der toltekischen Kultur erfahren wir direkt und praktisch - kein Bücherwissen mehr.
Schamanisches Wissen wird direkt in die Tat umgesetzt. Es ist schon erstaunlich, wenn man mit geschärften Sinnen auf die Zeichen der Natur achtet und erkennt, wie klar da Hinweise und Antworten erscheinen.
Wir arbeiten viel mit Kraftplätzen und den Energielinien in der Natur, erkennen, dass wir sie leiten können wie den Lauf eines Gewässers. Dies tun wir auf Wunsch der Geistwesen und helfen so, belastete Plätze zu harmonisieren.
Diese Geister, das Wesen eines Gewässers, der Geist einer Pflanze oder der Hüter eines Ortes, lehren uns so vieles über uns selbst und über unsere Mitwelt. Vieles ist in Bewegung gebracht worden, wir sind nicht mehr dieselben wie zuvor, denn der Berg, die Domäne des Adlers, hat uns geläutert.
Jeden Tag führte uns unser Pfad in eine andere Richtung, hielt neue Erfahrungen, Begegnungen und Lektionen für uns bereit. Jedesmal begegnete uns ein Tier und wurde zum Verbündeten für diesen Tag.
Jeder Tag stand unter einem bestimmten Thema und wurde von bestimmten Mond-, Stern- und Elementarkräften begleitet.
Der Rückblick auf diese vielfältige Woche zeigte uns, wie auf diese Weise ein Erdrad entstehen kann. Ein Medizinrad hat sich ganz in Bezug auf unsere Gruppe und auf diese Region entwickelt. Einige Richtungen wären noch zu erforschen, doch wir erkannten, wie wohl die ganz ursprünglichen Medizinräder entstanden sein müssen - in einer Zeit, wo das Wissen um geistige Zusammenhänge ganz im bewussten Erleben aus dem Alltag entstanden ist.
Eine Woche Schamanismus durch den Körper in der freien Natur erfahren - und jedes Jahr wird es wieder ganz anders sein! Für mich ist dies immer wieder eine der kraftvollsten Methoden, ganz intensiv schamanisch zu leben.
Bernhard
Dieser Bericht ist in der KREISZEIT, der europäischen Zeitschrift für Schamanismus erschienen.
Bär // 1998